Die 21. Museumsnacht bot mit ihren 65 Angeboten mehr als nur an die Wand genagelte Kunst.
Von Marielle Heeb
Mucksmäuschenstill ist es in der Stadtbibliothek, im Stuhlkreis, umgeben von alten Büchern. Die Zuhörer im hell beleuchteten Raum halten ihre Augen geschlossen, um den verschachtelten Sätzen zu lauschen, welche nun erklingen. Während es draussen langsam eindunkelt, erleben die Besucher der Museumsnacht eine Vorlesung der ganz speziellen Art: «Ein Blind Date mit der Literatur» heisst es im Programmheft, wenn man den unbekannten Vorleser hinter den faszinierenden Worten kennenlernen will. Eine Veranstaltung, die also bewusst durch Unwissenheit verführt. Nach dem Schlusssatz der vorgelesenen Kurzgeschichte geht ein Raunen durch die Runde. Erst jetzt, am Ende der Veranstaltung, gibt sich der Vorleser als Schaffhauser Autor Volker Mohr bekannt.
Offenheit für Unerwartetes
Die Ausstellungen und Kurzführungen in den 13 Gemeinden der Schweiz und im Hegau bieten Einblick in verschiedenste Bereiche der regionalen Kultur. «Offenheit für Neues und Unerwartetes ist das Wichtigste, was die Museumsnacht den Besuchern mitgeben kann», sagt Raphaël Rohner, Schaffhauser Stadtrat und Kulturreferent, zur Eröffnung in der Kammgarn. Dort lädt die Ausstellung «Wir sind das Kapital» das letzte Mal zum Staunen ein.
«Eigentlich sollte die Museumsnacht zwei oder drei Tage dauern.»
Tom Schneider, Galerie Reinart, Neuhausen
Mit jedem auserlesenen Häppchen der Museumsnacht lässt man sich ein auf eine erneute Überraschung – ein wahres kulturelles Blind Date also. Überraschungen lauern auch im Archiv des Museums zu Allerheiligen: Das grafische Kabinett im obersten Raum des Museums umfasst 30 000 Blätter mit Zeichnungen auf Papier. Alphabetisch geordnet, in grünen Kisten verpackt, stapeln sich dort die Kunstwerke. Kurator Andreas Rüfenacht öffnet zwei der Boxen und präsentiert einen Teil seiner Schätze. «Das Durchwühlen der Mappen ist immer wieder schön und überraschend», sagt er und untersucht mit der Lupe die Strukturen einer winzigen Radierung von Rembrandt.
Ein paar Schritte weiter wartet ein weiteres Highlight der Museumsnacht, doch spätestens hier benötigt der Durchschnittsbesucher eine Lupe. Im IWC-Museum legen die Uhrmacher Nachtschicht ein und geben einen Einblick in die Welt der Uhrwerke. Federn, Zahnräder und Zeiger – alles im kleinsten vorstellbaren Format. Mit Inszenierungen aus der Entstehungszeit der Manufaktur wird die Zeit um 150 Jahre zurückgedreht. So mischen sich kostümierte Schauspieler unter die Menschentraube, die sich um die ausgestellten Schätze gebildet hat.
Die Qual der Wahl
Was sich in dieser Nacht hinter den Gemäuern der 65 Veranstaltungsorte abspielt, ist mehr als an die Wand genagelte Kunst: Die kulturellen Angebote bieten vielschichtige Begegnungen mit Kunst und Kunstschaffenden. Zahlreiche Ateliers und Galerien aus der Region sind an der Museumsnacht beteiligt. Ein Abstecher in die Galerie Reinart direkt neben dem Rheinfall zeigt, wie vielschichtig zeitgemässe Kunst sein kann. Der Begriff des Kunstwerks endet hier nicht beim Gemälde, sondern integriert auch Fotografien und Skulpturen, wie sie in den kahlen Mauern inszeniert werden. «Kunst soll nicht im Keller versteckt werden», sagt Tom Schneider, Kurator und Organisator der Galerie. Der Wert von Kunst entstehe durch die Anzahl Blicke, die das Kunstwerk auf sich ziehe. – Das ist auch der Grund, warum er jährlich an der Museumsnacht teilnimmt. «Eigentlich müsste die Museumsnacht zwei oder drei Tage dauern», meint Schneider. Das riesige Angebot sei zu vielfältig, als dass man es in eine Nacht packen könne. Denn die Veranstaltung bietet für zwölf Franken vor allem eines: Kultur in ihrer ganzen Bandbreite.