Unterhaltsam, witzig und informativ zugleich war der Auftakt zur 13. «Erzählzeit ohne Grenzen» in Singen. Mit Max Küng haben die Programmmacher einen versierten Autor ausgewählt, und die Band «Good Bait» bot dazu den fetzig-musikalischen Rahmen.

von Edith Fritschi

Wie füllt man am schnellsten die Seiten für ein dickes Buch? Indem man lange Namen und Ortsnamen wählt. Diesen Tipp soll Max Küngs Sohn Oskar dem Vater gegeben haben, der das natürlich sofort in einen Text verpackte, in dessen Genuss das Publikum am Samstagabend kam. Die Kolumne über endlos lange Namen eines walisischen Ortes, eines neuseeländischen Berges oder die imposante Vornamenkohorte eines Pablo Picasso las der Autor souverän und ohne Stolpern. (Wir verzichten darauf, sie hier wiederzugeben.) Höchst amüsant war auch Küngs Kolumne «Thousand Island Sauce» über ein Beizengespräch am Nachbartisch, und nach diesen Paradestücken gings zum Roman «Fremde Freunde», den er schon vor vier Jahren zu schreiben begonnen hatte; dies unter dem Arbeitstitel «Jus de Pomme». Doch wie das Leben so spielt, kam das Buch weder zum geplanten Zeitpunkt noch mit dem «ursprünglichen Titel» heraus. Zu lang, zu viel und wegen Corona von der Zeit überholt sei einiges darin gewesen. Also wurde gestutzt, gekürzt, überarbeitet und neu formuliert. «Müsste ich das Buch rezensieren, würde ich sagen, es ist Max Küngs schönster, bester und gelungenster Roman», sagt Autor Küng selbstironisch im Gespräch mit Moderator Bernd Kohlhepp. Die zwei plaudern weniger über Literatur als übers Velo­fahren, Weintrinken, Käse, handgeschriebene Briefe und E-Mails oder den Alltag als Kolumnist und Schriftsteller.

Ein Ferienhaus in Frankreich

Genaues Beobachten, Ironie, Selbstironie, hinter- und vordergründiger Humor und ein feines Gespür für Alltagskomik zeichnen Küngs Texte aus. Das Ganze garniert er mit Anekdoten und der Entstehungsgeschichte des neuen Buches. Die Idee dafür sei ihm, man ahnt es fast, in den Ferien in Frankreich gekommen; in einem alten Haus an einem Kanal, unter einem Apfelbaum liegend und über das Phänomen Ferien sinnierend. Schon ist das gespannt lauschende Publikum mittendrin im Roman «Fremde Freunde», angesiedelt in «Saint-Jacques-aux-Bois» in der «Franche Comté». «Den Ort gibts natürlich nicht, er heisst wegen meiner erwähnten Vorliebe für lange Namen so», verrät Küng und stellt das Personal – drei Paare und ihre Kinder, die gemeinsam Ferien machen – vor. Dann liest er den Beginn – «L’arrivée» («die Ankunft») in gekürzter Form und hat das Publikum gleich in der Tasche. «Die Kapitel sind kurz und jeweils in Deutsch und Französisch überschrieben. Da kann man auch noch was lernen», scherzt Küng.

Erzählzeit 2022

Zum 13. Mal geht die grenzüberschreitende «Erzählzeit ohne Grenzen» über die Bühne. In 42 Orten in der Schweiz und in Deutschland lesen Autorinnen und Autoren aus ihren Werken. Darunter sind auch etliche Debüts. Das Literaturfestival dauert bis Sonntag, 10. April. Dann lädt die «Erzählzeit» zum Frühstück und anschliessender Lesung mit Andrea Sawatzki in der Stadthalle Singen ein.

Moderator Kohlhepp rät, sich das Buch am Büchertisch zu holen und rekapituliert dann die Geschichte der «Erzählzeit» unterhaltsam und im Schnellzugtempo. «Das Buch», sagt er, hat ja ziemlich an Bedeutung verloren: «Ich meine das Spar-, Gäste- und Gesangbuch, nicht aber das klassische Buch.» Dieses wird bei der «Erzählzeit» dies- und jenseits der Grenze nun eine Woche lang gefeiert; mit jungen und arrivierten Autoren, in den Städten und Orten auf dem Land.

Erstmals mehr Autorinnen

Über das grenzüberschreitende Festival unterhält sich der Moderator dann mit Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler und Programmmitgestalterin Catharina Scheufele, die glücklich sind, nach dem Ausfall der «Erzählzeit 2020» und der in den Sommer verschobenen Veranstaltungen von 2021 nun wieder zum «courant normal» zurückkehren zu können. Dies mit einer Ausgabe, bei der die Zahl der Autorinnen erstmals grösser ist als die der Autoren. Auch thematisch und genremässig ist der Literaturevent breit gefächert – bis hin zur Lyrik. Man biete hier für jeden Geschmack etwas, meint der OB, der sich allerdings keinen speziellen Autorentipp entlocken lässt. «Wir wollen die Literatur zu den Menschen bringen», sagt Scheufele. «Auch in kleine Orte.» Da gebe es keine Grenzen, setzt Häusler nach. «Die einzige Grenze, die wir kennen, war beziehungsweise ist Corona.»

Dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gut funktioniert, zeigte am Samstagabend auch die starke Präsenz der Schweizer Nachbarn im Publikum. Dabei begrüsste Kohlhepp namentlich Stadtrat Raphaël Rohner oder «Erzählzeit»-Programmleiter Oliver Thiele sowie viele Literatur-Interessierte. Die «Erzählzeit» habe sich gut etabliert und verfüge über einen exzellenten Ruf, der gar bis nach Berlin gedrungen sei, so Kohlhepp. Jedenfalls kam die Band «Good Bait» (guter Köder) aus der deutschen Hauptstadt. Laut Saxofonist Markus Ehrlich hat sie eine Tournee in den Süden gemacht – «mit einzigem Auftritt in Singen». Die vier Herren sind musikalische Geschichtenerzähler und liessen mit mitreissendem Sound und gelungenen Soli in «Jive at five», «Old Fox» oder «Old Devil Moon» manchen Fuss vor Begeisterung mitwippen. Man habe zwar kein Buch vorzuweisen, könne dafür mit Noten «schreiben», meinten die Musiker, die später auch den Apéro im Foyer klingend umrahmten.