Zu wenig Widerhall fand im Kantonsrat diese Woche ein Antrag, dem Schaffhauser Jazzfestival die Gelder nach 30 Jahren auf ein Normalmass zu kürzen. Die Freunde des zeitgenössischen Schweizer Jazz im Rat verteidigten das Festival vehement. Was steckt hinter dem Disput?

von Mark Liebenberg

Jazz ohne Dissonanzen – das ist im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit. Wo sich die Klänge nicht reiben, Saxofone und Vokalistinnen ihre Töne nicht manchmal schrill in den Raum hinausquietschen und ein Keyboard dazu keine schrägen Akkorde spielt – da ist es kein Jazz. Das gilt ganz besonders am Schaffhauser Jazzfestival, das sich seit 1990 als «Werkschau des aktuellen Schweizer Jazzschaffens» bezeichnet – und eben auch alle avantgardistischen Experimente und Trends abbilden will und seien sie noch so experimentell und schwer verdaulich fürs Ohr.

Dissonanz also gehört in dieser Musik dazu. Doch was, wenn Dissonanzen rund um das Jazzfestival als Veranstaltung auftreten? So geschehen ist es am vergangenen Montag, als in der kantonsrätlichen Budgetdebatte plötzlich einer ans Rednerpult trat und forderte, dem Jazzfestival seien die Mittel zu kürzen, die es jedes Jahr vom Kanton erhält. 107'000 Franken sind es seit knapp einem Jahrzehnt, festgehalten in einer Leistungsvereinbarung. So viel erhält kein anderer einzelner Kulturveranstalter vom Kanton.

Der Mann am Rednerpult war Thomas Stamm (SVP, Schaffhausen), und er begründete seinen Antrag so: «Nach dreissig Jahren darf man von einem Veranstalter eigentlich verlangen, dass er mit einer Zuwendung der öffentlichen Hand von 15 bis 20 Prozent des Gesamtbudgets auskommen sollte.» Beim Jazzfestival sind es aber derzeit gut 35 Prozent. Stamm schlug vor, die jährliche Zahlung aus dem Lotteriegewinnfonds auf 70'000 Franken herunterzusetzen, um in diesen Bereich zu kommen. «Der Fonds wird sonst von einer Veranstaltung überproportional beansprucht, nur um einer Handvoll Jazzspezialisten einen Event zu bieten.» Er bemängelte, dass das Jazzfestival kaum Publikum nach Schaffhausen locke mit Ausnahme von Fachleuten und den «Gurus» aus der Jazzszene und kaum regionale Wertschöpfung generiere, die sich etwa an Hotelübernachtungen ablesen lasse. «Dies im Gegensatz zum Beispiel zum Popfestival Stars in Town, das gut 50'000 Besucher in die Stadt bringt und vom Kanton mit gerade mal 100'000 Franken unterstützt wird.»

Auch bei Kultur kritisch hinschauen

Die Idee riss am Montag im Kantonsrat Politiker aus mehreren Parteien aus den Sitzen – einer nach dem anderen setzte sich vehement dafür ein, Stamms Antrag abzulehnen, darunter Stadtpräsident Peter Neukomm (SP) und der städtische Kulturreferent Raphael Rohner (FDP). Der Tenor: Das Jazzfestival sei ein «kultureller Leuchtturm», ein schweizweit beachtetes Spartenfestival, ein kulturelles Alleinstellungsmerkmal für Stadt und Kanton.

Das zeigte Wirkung: Stamms Antrag wurde mit 30 zu 21 Stimmen abgelehnt, sechs Parlamentarier enthielten sich. Stamm konnte immerhin fast die ganze eigene Fraktion und einige Stimmen aus der FDP überzeugen. Er hatte seine Niederlage erwartet. «Damit kann ich gut leben. Ich habe auch nichts gegen das Jazzfestival – auch wenn das nicht meine Musik ist.» Ihm sei es darum gegangen, bei den Fördergeldern für Kultur aus dem Lotteriegewinnfonds kritisch hinzuschauen. «Über Jahre hat der Kanton den stolzen Betrag von 400'000 Franken jedes Jahr den Hallen für Neue Kunst geschenkt. Die sind jetzt bekanntlich weg. So was darf nie wieder vorkommen.»

Der Zeitpunkt sei gerade jetzt richtig gewesen, argumentiert Stamm. Denn der Kanton steht kurz vor der Aushandlung einer neuen Leistungsvereinbarung mit dem Jazzfestival – diese wird jeweils für drei bis fünf Jahre abgeschlossen, der Kanton verpflichtet sich für diese Dauer, den festgesetzten Betrag zu überweisen. «Danach hat das Parlament nichts mehr zu sagen, deshalb musste ich jetzt handeln.»

Es sei ihm darum gegangen, gegenüber den Veranstaltern ein Zeichen zu setzen. Denn so wie der Rubel jetzt rolle, widerspreche es auch dem Sinn der Kulturförderung, meint Stamm: «Das Geld aus dem Lotteriegewinnfonds ist doch dazu da, neue Projekte anstossen zu helfen und eine kulturelle Artenvielfalt zu fördern und nicht, um einzelne Bezüger auf ewig aus dem Honigtopf zu sponsern.»

«Wie die Solothurner Filmtage»

Erleichtert reagiert der für Kultur verantwortliche Regierungsrat Christian Amsler auf den gescheiterten Angriff. «Jazz ist eine Nische, die sich bei dem hohen Qualitätsanspruch, der für das Jazzfestival zum Markenzeichen geworden ist, nicht nur über Einnahmen und Sponsoring finanzieren lässt.» Sprich: Ohne Subventionen geht es nicht.

Das Jazzfestival bestreitet 45 Prozent seines Gesamtbudgets mit Fundraising. Amsler: «Dass es dem Festival mit seinem Nischenangebot gelingt, diesen Betrag einzuwerben, zeigt, wie überzeugend das Produkt von den Sponsoren eingeschätzt wird.» Und immerhin seien in den letzten Jahren auch über die Kammgarn hinausgehende Angebote dazugekommen – etwa im TapTab oder im Haberhaus.

Auch den Vergleich mit dem Stars in Town lässt der Regierungsrat nicht gelten. «Stars in Town bietet einen ganz anderen Musikstil und hat einen anderen Fokus.» Und grundsätzlich gelte: «Es geht bei der Kulturförderung nicht um Wertschöpfung im wirtschaftlichen Sinn, sondern um die Förderung des kulturellen Angebots.» Die Breitenwirkung des Jazzfestivals sei durchaus gegeben, wenn auch nicht direkt mit Live-Publikum, sondern durch die mediale Verbreitung, etwa durch Radioaufzeichnungen und nationale Medien. «Das Schaffhauser Jazzfestival gilt als das Festival der Schweizer Jazzszene, analog zu den Solothurner Filmtagen für den Film.»

Das habe der Kanton kürzlich in einer Studie untersuchen lassen. Deren Ergebnisse flössen jetzt in die Neuverhandlung der Leistungsvereinbarung ab 2022 mit den Festivalmachern ein, sagt Amsler. Wie diese aussehe, lasse sich jetzt noch nicht sagen. «In diesem Sinne wäre es auch unsinnig gewesen, dem Festival überstürzt die Mittel zu kürzen.» Wie Kantonsrat Stamm auf die Quote von höchstens 15 bis 20 Prozent öffentlichen Geldern für etablierte Kulturveranstalter komme, entziehe sich seiner Kenntnis, sagt Amsler. Das sei so nirgends festgelegt.

Klassik braucht mehr Subventionen

Dass es ohne Subventionen auch bei anderen Kulturveranstaltern nicht zu gehen scheint, zeigt die aktuelle Übersicht über die Beiträge, welche die von Stadt und Kanton mit Leistungsvereinbarung unterstützten Formate erhalten. Wenn man diese Beträge mit dem Gesamtbudget der einzelnen Veranstalter ins Verhältnis setzt, ergeben sich indes interessante Einsichten. So bezieht das Stars in Town bei einem Budget von 4,4 Millionen Franken gerade mal 200'000 Franken von der öffentlichen Hand – und dies als Nachwuchsförderung vom Kanton (Startrampe) und Gratisleistungen von der Stadt. Hinzu kommt eine Defizitgarantie vom Kanton über 30'000 Franken.

Und: Teurer als Jazz ist die Klassik. Laut dem städtischen Kulturbeauftragten Jens Lampater kostet eine Ausgabe des Bachfests 650'000 Franken. Rund ein Drittel davon steuert die öffentliche Hand bei. Beim Klassikveranstalter Musik Collegium mit einem jährlichen Budget von 400'000 Franken liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent. Fazit: Klassische Orchestermusik tönt in manchen Ohren weniger dissonant als Jazz – sie ist aber auch deutlich teurer.